Das futuristische Haus

Bezuglos zu seiner Umgebung in die Landschaft gesetzt, wirkt es von weitem wie ein riesiger, grauer Klotz. Ein futuristisches Gebäude soll es werden, habe ich gehört. … Eine großzügige glänzende Röhre führt in den Bauch des Hauses. Eine großzügige, glänzende Röhre führt in den Bauch des Hauses. César Manrique, der spanische Architekt, der seine Wohnung auf Lanzarote in einer Lavahöhle eingerichtet hat, kommt mir in den Sinn. Werden die Menschen in diesem Gebäude vielleicht ähnlich wohnen? Neugierig gehe ich weiter. Dunkelheit dämmert mir entgegen und nach weiteren Schritten erreicht mich kein Tageslicht mehr. Gut, dass ich meine Taschenlampe habe! Die Röhre wirft den Lichtschein zurück, er flackert vor mir wie ein Ring. Plötzlich beginnt er sich zu drehen, schnell, immer schneller. Das weiße Licht zerlegt sich in die Spektralfarben. Um mich herum kreisende Farben, vor mir Schwarz. Ich werde schwindelig, versuche einen Halt zu finden, rutsche aus, stürze in die Dunkelheit. Wie eine Achterbahnfahrt – immer tiefer gleite ich hinunter in das Innere des Hauses. Um mich herum zucken bunte Lichtreflexe, vor mir undurchsichtiges Nichts. Wo bin ich?

Aus: „Sciens meets Fiction“

„Herbstzauber“

Der Sommer dauerte an. Wogende Weizenfelder, erdige Luft. Schattige Waldwege mit tanzenden Sonnenflecken auf den Gräsern der Lichtung. Schmelzendes Vanilleeis, ein Platz unter dem Sonnenschirm des Straßencafés. Windstille in der Abenddämmerung, roter Bordeaux in bauchigen Gläsern. Und die Zeit schien still zu stehen.
Komm – eine zärtlich leise Aufforderung. Er hob das Bettdeck an. Sie blickte auf seinen nackten Körper. Sie folgte, schmiegte sich an an seine warme, weiche Haut. Liebe, Geborgenheit, Glücklichsein.
Als Paar stellten sie sich der Generation ihrer erwachsenen Kinder, Schwiegerkinder, Enkel vor.
Eine Begegnung, die das Leben verändert, an einem Mittag im Sommer. Ein Zauber, entfacht im Herbst des Lebens. Zufall? Vorhersehung? Schicksal?

Aus: „Das Schicksal des Menschen ist der Mensch“ 

Darf ich einmal ziehen?

Meist sind es nur wenige Begebenheiten der Kindheit, an die man sich als Erwachsener genau erinnert. Für Elisabeth, genannt Lilly nach ihrem wippenden Haarzopf, war dies eine peinliche Situation. Obwohl ihr damals, mit ihren acht Jahren nicht klar war, was peinlich bedeutete. Ihr etwas älterer Spielkamerad Jochen wusste auch nichts mit der Situation anzufangen. Doch für die Erwachsenen, schien sie ein Eklat zu sein, und der sonntägliche Tierparkbesuch endete in Verstimmung.
Begeistert war Lilly mit Jochen von einem Tiergehege zum anderen gelaufen. Plötzlich überkam sie ein dringendes menschliches Bedürfnis. Mitten auf dem Rasenstreifen vor den Giraffen hockte sie sich hin und verrichtete ihre Notdurft. Ihre Mutter schrie auf, schimpfte: sie solle sofort herkommen, warum sie nicht zur Toilette ginge, so etwas mache man nicht, das wäre unanständig und äußerst peinlich! Verwirrt stand Lilly auf, strich ihren Rock glatt. Ihr kleinlautes „ich musste ganz dringend, ich hätte mir sonst in die Hose gemacht“ wurde übertönt vom aufgebrachten Reden der Erwachsenen. Vater meinte, so ein Verhalten sei nicht zu billigen, die Tante empörte sich über die Blage, die in aller Öffentlichkeit ihr Hinterteil entblößt hatte. Jochens Mutter schimpfte ebenfalls, nicht mit Lilly, sondern mit Jochen, der neben ihr gestanden hatte und ihrer Meinung nach in unverschämter Art und Weise hingeguckt hätte.

Aus: „Ein Kinderspiel / kein Kinderspiel“

Mia Sorella

Die Biologie meiner Eltern verwehrte mir leibliche Geschwister. Ich wuchs als Einzelkind auf, umgeben von fürsorglichen Erwachsenen, die alle «nur das Beste» für mich wollten. Ihre Zuwendungen und Besorgtheiten prasselten auf mich nieder wie die dicken Regentropfen eines Schauers im Frühsommer. Ständig war ich bemüht, die Nässe von mir abzuschütteln.
Als Kind unter Kindern lernte ich nicht meinen Egoismus zu zügeln. Als Jugendlicher trotzte mein Dickkopf den Werten meines Elternhauses, und widersetzte sich zusätzlich dem Gruppengeist meiner Altersgenossen. Wie ein verlassener Wolf auf dem Felsvorsprung heulte ich einsam mein Lied des Unverstandenen.
Ich zählte bereits zur Gruppe der Erwachsenen als sich dies änderte. Es änderte sich durch eine wundervolle Begegnung und einen merkwürdigen Auftrag, den ich von einem Bekannten erhielt: Er hatte eine junge Frau kennengelernt, und ich sollte ihre Bekanntschaft machen. Ich sollte prüfen, ob sie zu ihm passen würde. Die Gründe, warum er ausgerechnet mich für eine solch wichtige Aufgabe auswählte, habe ich nicht erfahren. Die Sonderbarkeit des Anliegens reizte mich, ich nahm den Auftrag an.

Aus: „Herzbuch Freundschaft“

Ein leichter Fall

Ostermontag, 1. April: Schritt für Schritt tastete sich Inspektor Freitag voran. Je tiefer er hinab stieg, je schummeriger wurde das eh schon spärliche Tageslicht. Nur schemenhaft waren die Wände auszumachen, die einmal weiß getüncht waren. Jetzt bröckelte der Putz, Risse durchzogen das Mauerwerk. Eine Ratte huschte über den Schutt, der überall auf den Steinstufen verteilt lag. Freitag hielt inne und lehnte sich an die Gewölbewand, die feuchte, modrigstickige Luft bereitete ihm Atemschwierigkeiten. Vielleicht, so schoss es ihm durch den Kopf, war es keine so gute Idee in die untersten Kellergewölbe der verlassenen Brauerei vorzudringen ohne seinen Kollegen Bescheid zu geben, vielleicht aber würde sich seine Vermutung auch ganz einfach als Flop herausstellen. Vorsichtig tastete er sich voran. Steine rutschten die Stufen hinunter und blieben auf einem weitläufigen Boden liegen. Nur noch wenige Meter, jetzt war er am Fuße des riesigen Fabrikschornsteins angelangt, sein Ziel. Er zog sein Handy aus der Tasche. Er hatte keinen Empfang. Sein Blick richtete sich nach oben in eine undurchsichtige Höhe. Ein Hustenanfall schüttelte ihn. Hohl, wie höhnendes Lachen warfen die Wände die Laute zurück. Er verharrte. „Wouw …“, entfuhr es ihm plötzlich. Da war es, worauf er gewartet hatte. Erst zeigte sich ein Flackern, doch jetzt bewegte es sich langsam und stetig nach unten, ein Lichtstrahl strich den Schornsteinkörper entlang. „Der mechanische Lichteinfall funktioniert also noch …“, murmelte er. Jetzt war er direkt ihm gegenüber auf Augenhöhe. Deutlich machte Freitag einen losen Stein im Mauerwerk aus. Das musste es sein! Magisch angezogen bewegte er sich darauf zu. Plötzlich traf ihn ein schwerer Schlag am Hinterkopf, er sackte zu Boden. Nacht umhüllte ihn. Neugierig schnupperte eine Ratte an dem feinen Rot, das den Boden tränkte. …

Aus: „Unberechenbar – Mathematische Kriminalgeschichten“

Mitternachtssuppe

Ich serviere dir
kokett, im schwarzen Spitzenhöschen,
und leichtem Hemd mit Rüschenröschen,
herausgeputzt wie eine Puppe –
eine kleine, feine Pilzrahmsuppe.

Heute Nacht
soll sich dein Blick nach mir verzehren,
ein letztes Mal darfst du mich heiß begehren.
Schon morgen bist du still und alt,
dein Körper bleich, die Lippen kalt.

Gestern,
du riefest nach mir „He Olle!“
In dieser Nacht
du kostest von der blättrigen Knolle.

Aus: „Frauen – Mörder –Mörderinnen“